Volle Leistung, aber kein Geld. Für Handwerksbetriebe ist das sicher nur schwer verständlich. Könnten Sie das Urteil erläutern?
Dirk Neumann: Im zugrundeliegenden Fall hatte ein Verbraucher mit einem Unternehmen einen mündlichen Vertrag über die Erneuerung der Elektroinstallation seines Hauses geschlossen. Der Vertrag wurde nicht in den Geschäftsräumen des Unternehmens geschlossen. Das Unternehmen hatte den Verbraucher nicht über das gesetzliche Widerrufsrecht informiert, obwohl er dazu verpflichtet ist. Nach Erbringung der vollständigen Leistung legte der Unternehmer Rechnung, die seitens des Verbrauchers jedoch nicht beglichen wurde. Der Verbraucher erklärte einige Monate nach Vertragsschluss den Widerruf, woraufhin der Unternehmer Klage auf Zahlung der Vergütung vor dem Landgericht Essen erhob.
Dieses Gericht hat dann den Europäischen Gerichtshof angerufen, um die ja schon seit 2014 bestehende Rechtsnorm bestätigen zu lassen?
Genauso ist es. Das Landgericht hatte im Rahmen eines Vorabentscheidungsersuchens dem EuGH die Frage vorgelegt, ob im Falle unterlassener Widerrufsbelehrung bei einem – außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen – Dienstleistungsvertrag jegliche Ausgleichsansprüche des Unternehmers im Falle des Widerrufs ausgeschlossen sind, wenn die Dienstleistung vollständig erbracht wurde, oder ob sich der Unternehmer auf die Verletzung des allgemeinen Unionsrechtsgrundsatzes des Verbots der ungerechtfertigten Bereicherung im Falle eines Vermögenszuwachses berufen kann.
Entscheidend ist: Der EuGH beantwortete diese Frage zugunsten des Verbrauchers. In Juristendeutsch heißt das dann: Art. 14 Abs. 5 der Verbraucherrechterichtlinie ist dahingehend auszulegen, dass der Verbraucher von jeder Verpflichtung zur Vergütung der Leistung befreit ist, wenn dieser sein Widerrufsrecht ausübt und nicht über sein Widerrufsrecht und die Wertersatzpflicht informiert wurde. Somit kann sich der Unternehmer in diesem Fall auch nicht auf den Grundsatz des Verbots der ungerechtfertigten Bereicherung berufen.
Demnach hat der Verbraucher die Komplettleistung im konkreten Fall zum Nulltarif erhalten?
Ja, das ist jedenfalls juristisch gesehen korrekt. Aber ich bin ja nicht nur Jurist, sondern auch Hauptgeschäftsführer einer Handwerkskammer. Deshalb habe ich persönlich Zweifel, ob eine solche Rechtsprechung wirtschaftlich sinnvoll und moralisch gerechtfertigt ist.
Was können Handwerkbetriebe tun, um sich vor solchen Praktiken zu schützen?
Handwerker, die mit Verbrauchern am Telefon, per E-Mail oder außerhalb ihrer Geschäftsräume Verträge schließen müssen folgendes beachten:
Verbraucher können solche „Dienstleistungsverträge“ innerhalb von 14 Tagen nach Vertragsabschluss widerrufen. Der Zeitraum verlängert sich um 1 Jahr, wenn der Handwerker über das Widerrufsrecht nicht aufgeklärt hat.
Deshalb sollten die Unternehmen bei Vertragsschluss immer den Verbrauchern zusammen mit der Musterwiderrufsbelehrung auch das Muster-Widerrufsformular aushändigen. Sofern möglich, sollten die Arbeiten erst nach Ablauf der 14-tägigen Widerrufsfrist begonnen werden. Andernfalls muss der Verbraucher darüber belehrt werden, dass er die bis zum Widerruf geleistete Arbeit zu vergüten hat.
Auf der Internetseite der Handwerkskammer haben wir dazu eine Dokumentation mit Mustertexten hinterlegt. Ich selbst rate den Handwerksbetrieben, Verträge möglichst in ihren Geschäftsräumen zu schließen, um nicht wegen möglicher formaler Fehler auf solchen Kosten sitzen zu bleiben.