Das Handwerk blutet. Die gestiegenen Energiepreise geben den Betrieben, die durch die Pandemie, den Fachkräftemangel, gestörte Lieferketten sowie Rohstoff- und Materialknappheit schon wirtschaftlich geschwächt waren, den Rest. Die Rufe nach finanzieller Unterstützung werden lauter, doch die Politik hat noch keinen Weg gefunden. Wie sie sich fühlen und wie es um ihre Existenz steht, das berichteten am 15. September 20 Handwerksunternehmer in einem Gespräch mit Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Dr. Reiner Haseloff und Prof. Dr. Armin Willingmann, Minister für Wissenschaft, Energie, Klimaschutz und Umwelt des Landes Sachsen-Anhalt.
„Es wird alles an vielen Stellen anders werden“.
Dr. Reiner Haseloff, Ministerpräsident
„Es wird alles an vielen Stellen anders werden“. Mit diesen Worten stimmte Reiner Haseloff schon zu Beginn des Treffens darauf ein, dass eine Rückkehr in alte Strukturen ausgeschlossen ist. Es gelte nun, das Handwerk und den Mittelstand zu unterstützen und Insolvenzen zu vermeiden.
„Flickenschusterei“ nannte Klaus-Lothar Bebber die bisherigen Entlastungsmaßnahmen der Bundesregierung. Der Obermeister der Kfz-Innung Dessau-Roßlau fordert ein Ende der Sanktionen gegen Russland und Bemühungen um Frieden auf rein diplomatischer Ebene. „Ich kenne Ihre Probleme, es sind auch unsere Probleme“, richtete Reiner Haseloff das Wort an Klaus-Lothar Bebber. „Aber den Schalter umzulegen ist keine Lösung. Wenn wir Nord Stream 2 öffnen, haben wir zwei Pipelines ohne Gas.“ Armin Willingmann ergänzte: „Wir entscheiden nicht, ob Russland uns Gas schickt.“
Für die Handwerksbetriebe müsse es aber zeitnah Hilfe geben, bekräftigte Lothar Dieringer, Obermeister der Innung Sanitär-Heizung-Klima-Ofenbau Halle. „Es ist nicht fünf vor zwölf, es ist zwölf“, erklärte er die dramatische Situation. „Ziel ist es, dass Zuschüsse kommen, damit die Betriebe am Leben bleiben. Das Entlastungspaket ist schwammig. Wo ist der Zeitplan, wo ist Konkretes?“
Doch diese Gelder bereitzustellen, scheint die Entscheidungsträger vor große Schwierigkeiten zu stellen. So erläuterte Minister Armin Willingmann: „Es gibt die Erwartung, dass sich die Hilfe, die es wegen der Pandemie gab, jetzt fortsetzt. Aber es handelt sich hier um eine ganz andere Dimension.“
Reiner Haseloff verwies auf die anstehende Ministerpräsidentenkonferenz am 28. September, in der es um Details der Entlastungsstrategie gehen soll, und sprach sich für Energiepreisdeckel oder eine Energiepreisbremse aus. Auch Insolvenzen müssten dringend verhindert werden. „Wenn wir die Insolvenzfristen nicht anfassen, kommen wir in schweres Fahrwasser“, so der Politiker.
Doch in schwerem Fahrwasser sehen sich die Unternehmer schon jetzt. Sie fürchten um ihre Existenz und um die Zukunft ihrer Mitarbeiter, die tagtäglich ihrer Arbeit nachgehen. Auch um die Kunden sorgen sich die Handwerker. Denen wollten sie schließlich helfen, aber wenn ein Betrieb nicht arbeiten könne oder gar für immer schließen müsse, würden auf einmal hunderte Kunden ohne Dienstleister dastehen.
Schreien Sie in Berlin! Hier brennt es ganz doll und ich habe Angst.
Bäckermeister Helge Sommerwerk
Das emotionalste Plädoyer kam an diesem Tag von Bäckermeister Helge Sommerwerk aus Mücheln. Als hoher Rohstoff- und Energieverbraucher ist das Gewerk besonders gebeutelt. Die Gewinnmargen sind in der Branche von Grund auf nicht hoch und somit kein Puffer vorhanden. Die Kunden treibt es zum Discounter, seit die Preise steigen. Er sei Bäckermeister in 4. Generation und stolz darauf, so Helge Sommerwerk. Doch bei dieser Politik könne er seinen Kindern den Beruf nicht empfehlen. Seine Ansage an die Politiker ganz klar: „Sie treiben das Bäckerhandwerk in Sachsen-Anhalt in den Ruin. Wir sterben! Es passiert nichts! Schreien Sie in Berlin! Hier brennt es ganz doll und ich habe Angst.“