Alarmruf „Energiepolitik: Wunschdenken und Schönfärberei gefährden die Versorgungssicherheit!“

Alarmruf der Arbeitgeber- und Wirtschaftsverbände sowie der Industrie- und Handelskammern sowie Handwerkskammern in Sachsen-Anhalt.

Stromzähler
Adobe Stock/moquai86

Das Maß ist voll! Gestern ist in Berlin ein Bericht der Bundesnetzagentur vorgestellt worden, dessen Ergebnis im Kern lautet, die Versorgungssicherheit mit Strom in den Jahren 2025 bis 2031 sei gesichert – selbst dann, wenn der Braunkohleausstieg auf das Jahr 2030 vorgezogen würde. Dieser Bericht beruht in weiten Teilen auf wirklichkeitsfremden Annahmen und kann deshalb keinesfalls als seriöse Grundlage für eine zukunftsweisende Energiepolitik angesehen werden. Der Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz allerdings hat nach eigenen Angaben genau das vor. Davor warnen die Unterzeichner ausdrücklich!

Wir wenden uns strikt dagegen, eine Energiepolitik des Wunschdenkens und der Schönfärberei zu betreiben bzw. fortzusetzen! Wer früher als 2038 aus der Braunkohleverstromung aussteigen will, der muss nachweisen, dass dies tatsächlich möglich ist. Und dies kann nur gelingen, wenn verlässliche Alternativen aufzeigt und umgesetzt werden. Die politische Realität indes zeigt das Gegenteil: Atomausstieg und Frackingverbot sind sakrosankt, bürokratische Hürden und Klageverfahren lähmen den Ausbau von Netzen sowie Photovoltaik- und Windkraftanlagen. Wer LNG-Terminals im Rekordtempo bauen kann, sollte die PS auch in anderen Bereichen auf die Straße bringen!

Dringend nötig: eine Agenda politischer Vernunft für eine nachhaltige Energieversorgung!

Nachhaltige Energieversorgung ist klimafreundlich, verlässlich und bezahlbar. Von diesem Ziel sind wir derzeit leider noch weit entfernt. Wir fordern ein Umsteuern und schlagen dazu – basierend auf wenigen Grundsätzen – eine Agenda energiepolitischer Vernunft vor: 

Glaubwürdigkeit und Vertrauensschutz erhalten! 

Das Energiekostendämpfungsprogramm hilft nur, wenn die gegebenen Zusagen eingehalten werden. Das Geld muss endlich fließen! Die Gas- und Strompreisbremsen müssen verständlich, berechenbar und praktisch anwendbar sein. Das derzeitige regulatorische Chaos bringt nicht nur keine Hilfe, sondern verursacht sogar zusätzliche Probleme, indem es solide betriebswirtschaftliche Kalkulationen betroffener Unternehmen vielfach schlicht verunmöglicht. 

Bezahlbarkeit sichern! 

Die hohen Strom- und Gaspreise können spürbar und dauerhaft nur gesenkt werden, wenn die Energieknappheit als Kernproblem erkannt und entschlossen bekämpft wird. Das Angebot muss spürbar ausgeweitet werden. Dabei gilt: Jede Kilowattstunde zählt. Deshalb sind alle Quellen zu nutzen, alle Kapazitäten auszunutzen und alle Reserven zu erschließen. Rasch, entschlossen, konsequent – ohne ideologische Vorbehalte. Es muss alles in den Markt, was Beine hat! 

Energiesouveränität gewinnen! 

Die schmerzhafte Lehre der jüngeren Vergangenheit ist: Deutschland darf seine Energieversorgung niemals mehr in so extremer Weise von externen Lieferanten und einzelnen Energiequellen abhängig machen wie dies in der Vergangenheit der Fall war. Mit anderen Worten: Deutschland muss Energiesouveränität gewinnen – durch Nutzung eigener Ressourcen! 

Bedarfsgerechtigkeit und Netzstabilität garantieren! 

Energie muss jederzeit verlässlich und bedarfsgerecht zur Verfügung stehen. „Jederzeit“ bedeutet: buchstäblich zu jeder Sekunde oder gar Millisekunde, denn in manchen Industriebereichen kann selbst der Spannungsabfall von der Dauer eines Wimpernschlages verheerende Folgen haben. Und „bedarfsgerecht“ heißt schlicht, dass die Energie genau dann zur Verfügung steht, wenn sie gebraucht wird. 

Technologieoffenheit wahren! 

Kein Energieträger sollte per se ausgeschlossen werden. Die Zukunft ist offen, deshalb sollte es auch die Energiepolitik sein. Technologieoffenheit ist Trumpf! 

Unter Beachtung der oben skizzierten Grundsätze sieht nachhaltige Energiepolitik wie folgt aus: 

Erneuerbare Energien: Es sind bürokratische Hürden zu beseitigen und gesetzliche Verfahrensschritte zu straffen, um den Netzausbau und auch den Ausbau von Windkraft- und Photovoltaikanlagen spürbar zu beschleunigen. Beispielhaft seien genannt: eine klare Fristenregelung für den Netzanschluss im EEG, hingegen keine Zertifizierungspflicht für Anlagen zwischen 135 KW und 1 MW, Lösung des Problems der Flächenverfügbarkeit, Zulässigkeit für Repowering auch für Bestandsanlagen, Absenkung von Grenzwerten für Lärm und Abschaltvorgaben, Verzicht auf unnötige immissions- und baurechtliche Erschwernisse, deutlich raschere und aufwandsärmere Klärung natur- und artenschutzrechtlicher Fragen, Aufhebung der Einspeisebegrenzung von 70 Prozent für PV-Anlagen nicht nur für neue, sondern auch für Bestandsanlagen, Einführung einer Bagatellgrenze für Eigenversorger etc. pp. Fazit: Regulatorische Öffnungen bei klaren klimapolitischen Vorgaben helfen uns, die Klimaziele zu erreichen, indem sie den Markt als Effizienztreiber wirksam nutzbar machen! 

Kernkraft: Auf eine so klimafreundliche Art der Energieerzeugung wie die Nutzung der Atomkraft zu verzichten, erscheint grundsätzlich fragwürdig. Dies ausgerechnet während einer schweren Energiekrise zu tun, wirkt beinahe fahrlässig. Insoweit wäre – unter Nutzung fachwissenschaftlicher Expertise – zu prüfen, unter welchen Voraussetzungen die drei derzeit noch am Netz befindlichen deutschen Atomkraftwerke auch über April 2023 hinaus am Netz bleiben und die drei am 31.12.2021 abgeschalteten Kraftwerke wieder ans Netz genommen werden können. Die Kernkraft immer wieder pauschal und undifferenziert als „Hochrisikotechnologie“ zu diffamieren und dabei von der Fachwissenschaft erarbeitete Erkenntnisse etwa über die in Tschernobyl oder Fukushima in verantwortungsloser Weise genutzten Reaktoren zu ignorieren, wirkt wenig souverän. Zudem wirkt es unglaubwürdig, wird doch in anderen Fällen gern „die Wissenschaft“ als Autorität bemüht, um bestimmte politische Schritte zu begründen oder gar zu rechtfertigen. 

Kohle: Derzeit sind in Deutschland noch 22 Kohlekraftwerke am Netz. Die Bundesnetzagentur (BNA) verweigert aus guten Gründen deren Abschaltung: Sie sind „systemrelevant“, das heißt für die Versorgungssicherheit und Netzstabilität derzeit noch unverzichtbar. Im Übrigen wird der Strombedarf mittel- und langfristig nicht ab-, sondern zunehmen. Mithin verbieten sich Spekulationen über einen vorfristigen Braunkohleausstieg; der gesetzlich fixierte Pfad für den Ausstieg bis 2038 ist unbedingt offenzuhalten. Umso unverständlicher und ärgerlicher sind deshalb die wirklichkeitsfremden Annahmen, die die BNA ihrem jüngsten Bericht zugrunde legt, um den Kohleausstieg vorzuziehen. 

Gase: Bis zum Aufbau ausreichender Kapazitäten für grüne Gase sind die deutschen Schiefergasvorkommen durch umweltverträgliche Verfahren zu erschließen. Dass dies möglich ist, steht seit Jahren fest. Die Forschungsergebnisse und Empfehlungen der Fachwissenschaft sind eindeutig (u. a. TU Bergakademie Freiberg, TU Clausthal-Zellerfeld, KIT-Institut für Geowissenschaften, acatech/Deutsche Akademie für Technikwissenschaften, Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe). Die eigens eingerichtete „Expertenkommission Fracking“ äußert keine Bedenken, sondern spricht sich seit Jahren für die Gewinnung von einheimischen Schiefergasen aus. Die LNG-Euphorie wirkt scheinheilig, wenn Fracking-Gas importiert, in Deutschland aber verboten wird. Zudem ist der Transport klimaschädlich und ineffizient, da fast ein Fünftel des Gases beim Transport verbraucht wird. 

Fazit: 

Wunschdenken und Schönfärberei sowie Ignoranz gegenüber Erkenntnissen und Empfehlungen einschlägiger Fachwissenschaft gefährden eine nachhaltige Energiepolitik! Nötig sind weit mehr als bloße Ankündigungen und unkoordinierte Einzelmaßnahmen. Eine verlässliche und bezahlbare Energieversorgung ist die Achillesferse der deutschen – zumal der mitteldeutschen – Industrie. Und diese wiederum stellt mit ihrer hohen Wertschöpfung die maßgebliche Quelle unseres Wohlstandes dar. Dekarbonisierung darf nicht Deindustrialisierung bedeuten! Ansonsten droht mehr zerstört zu werden als „nur“ die beachtliche Wiederaufbauleistung in Ostdeutschland nach 1989/1990. 

gezeichnet

Prof. Dr. Steffen Keitel
Präsident der
IHK Halle-Dessau 

Thomas Keindorf
Präsident der
HWK Halle (Saale) 

Marco Langhof
Präsident der
AWSA 

Klaus Olbricht
Präsident der
IHK Magdeburg 

Hagen Mauer
Präsident der
HWK Magdeburg